Der Spanier Álvaro Neil brach mit 34 Jahren zu einer Weltreise auf, von der er dieses Jahr – 13 Jahre später – zurückkehren möchte.
Seit seinem Aufbruch 2004 betrat er keinen spanischen Boden. Obwohl es eigentlich noch geheim ist, verriet mir Álvaro sogar das genaue Datum seiner Rückkehr. Seid gespannt auf ein interessantes Interview mit einem außergewöhnlichen Zeitgenossen!
Zum Zeitpunkt unseres Interviews war Álvaro gerade in Kroatien unterwegs und auf der Weiterfahrt nach Montenegro. Als ich ihn kontaktierte, erwischte ich ihn zufällig online.
Auf meine Frage nach dem Interview antwortete er sofort und ohne Umschweife. Wir unterhielten uns via Audionachrichten über Whattsapp. Álvaro Neil ist gebürtiger Spanier und so führten wir unser Gespräch auf Spanisch. Im folgenden Artikel gebe ich es sinngemäß in deutscher Sprache wieder.
Interview mit Weltumradler Álvaro Neil
Mike: Hallo Álvaro. Ich verfolge deine Abenteuer ja schon einige Jahre. Vieles weiß ich bereits und was ich nicht weiß, könnte ich mir einfach von deiner Seite holen. Um es persönlicher zu gestalten, stelle ich dir für die Leser trotzdem noch einmal ein paar grundlegende Fragen, von denen du einige bestimmt schon 100 Mal gehört hast.
Mike: Seit wann lebst du mit deinem Fahrrad auf der Straße? Wieviele Jahre? Wieviele Nächte?
Álvaro: Auf dem Fahrrad bin ich seit 2001 unterwegs. Um genau zu sein, seit dem 8 Oktober 2001. Ich begann in La Paz, Bolivia. Mit dem Fahrrad fuhr ich dann durch Südamerika bis 2003. Anschließend kehrte ich nach Spanien zurück und präparierte hier den Start für meine Weltreise.
Am 19 November 2004 fuhr ich mit dem Fahrrad ab Oviedo – meiner Geburtsstadt – los. Seitdem kehrte ich nicht wieder nach Oviedo zurück. Ich begab mich auf Weltreise und bin immer noch unterwegs. Am gleichen Datum wie meiner Abfahrt – am 19 November – diesen Jahres, beende ich meine Weltreise, ebenfalls in Oviedo. Dann sind genau 13 Jahre seit meiner Abreise vergangen. Und wenn man ab meinem ersten Abreisetermin zählt – dem 8 Oktober 2001 – dann bin ich bereits über 5000 Nächte draußen.
Auf meiner Seite biciclown.com befindet sich ein Zähler, wo man genau verfolgen kann, wieviele Tage ich bereits unterwegs bin.
Mike: Durch wie viele Länder bist du schon gekommen?
Álvaro: Auf meiner Website, da ist auch der Zähler, der die Länder zählt, die ich bereits bereist habe. Bisher sind es 104. Morgen komme ich nach Montenegro, dann sind es bereits 105.
Mike: Wo lebtest du, bevor du zu deiner Weltumradlung aufbrachst?
Álvaro: Bevor ich zur Weltreise aufbrach, lebte ich in Oviedo. Und 5 Jahre lang arbeitete ich in einem Büro in Madrid, in einem Notariat.
Mike: Was war der Zündfunken, der dich dazu inspirierte, endgültig aufzubrechen und alles hinter dir zu lassen?
Álvaro: Was war der Grund? Ja, ich weiß nicht. Ich sah mich von weitem, dachte in meine Zukunft und überlegte, dass ich ein anderes Leben führen will, als wie ein Durchschnittsleben. Und ich wollte meinen Traum leben. Und ich glaube, mein Traum ist, mir die Welt anzusehen, mit meinem Fahrrad und als Clown. Und ich wollte nicht auf meine Pensionierung warten, um diesen Traum umsetzen zu können. Darum mache ich es jetzt.
Mike: Von was lebst du? Buchverkäufe? Sponsoren? Werbung?
Álvaro: Als ich losfuhr hatte ich einige Ersparnisse. Ich war ja zuvor arbeiten. Und ich hatte auch schon einige Sponsoren. 2008 begann die Krise in Spanien. Da verlor ich Sponsoren. Heute habe ich jedoch immer noch einige Sponsoren. Und ich rechne auch mit manchen Marken, die mir ihr Material kostenlos zur Verfügung stellen – ohne etwas im Gegenzug dafür zu verlangen.
Es sind auch deutsche Marken dabei wie Ortlieb und Rohloff, die mir mit Material zur Seite stehen, aber nicht mit Geld. Manche Freunde überweisen mir manchmal Geld. 5 Euro oder 10 Euro. Letztens überwies mir eine Freundin 100 Euro. Ich sah auf mein Konto und da waren plötzlich 100 Euro mehr drauf.
In der Basis lebe ich aber von meinen eigenen Verdiensten. Ich publizierte bereits 6 Bücher und bekomme Tantiemen. Auch wurden schon 5 Dokumentarfilme über mich gedreht, die mir auch etwas einbringen. Bücher und Filme verkaufe ich über meine Webseite. Außerdem schreibe ich Artikel für eine Fahrradzeitung jeden Monat „El Bike“. Und jetzt habe ich mit Biciclown+ begonnen (über die Webseite Biciclown.com).
Das ist eine neue Form, Inhalt zu teilen. Darüber generiere ich auch kleine Beträge. Also fast alles zahle ich aus der eigenen Tasche. Und etwas kommt auch über Sponsoren. Normalerweise helfen die nur mit Material. Seit einigen Jahren habe ich aber auch einen Sponsor, der mich finanziell etwas unterstützt. Eigentlich sind es auch eher Freunde als Sponsoren.
Mike: Wieviele Fahrräder hast du bereits verheizt?
Álvaro: Seit 2001 habe ich 4 Fahrräder verbraucht. Während der Weltumradlung sind es 3. Was ich zur Zeit benutze, ist das dritte. Es ging vor einigen Monaten in Bulgarien zu Bruch. Ich schweißte es und denke, dass ich es mit ihm zurück nach Spanien schaffe.
Mike: Was ist wichtiger für das Überleben eines Abenteuers, wie das deine? Die Ausrüstung oder die mentale Stärke?
Álvaro: Selbstverständlich, für ein Abenteuer wie das meine sind die Entschlossenheit und der Mut fundamental. Gutes Material hilft. Aber in den meisten Fällen hilft es dir nicht aus dem Schlamassel. Und auf so einer langen Reise, geht dir selbst das beste Material irgendwann kaputt. Und dann bist du es, der eine Lösung finden muss.
Einen Schweißer. Jemanden finden, der dich aus einem Loch zieht. Und selbstverständlich brauchst du Entschlossenheit und einen starken Willen, um deine Limits zu durchbrechen. Es kommt absolut auf deinen Willen an.
Mike: Welcher Ausrüstungsgegenstand ist absolut unverzichtbar für dich (außer dein Fahrrad)?
Álvaro: Das allerwichtigste, was ich mit mir führe, ist mein Pass. Das ist kein Witz. Und, in einem Moment, als mir mal ein Pass kaputt ging – das war an der iranischen Grenze, ein Polizist zerstörte aus Versehen meinen Pass – da merkte ich, ab jetzt bin ich ein Immigrant, jemand ohne Papiere.
Ganz ohne Zweifel. Ohne Pass machst du keinen Schritt in dieser Welt. Ohne Geld ja. Aber ohne Pass nicht.
Mike: Was ist das erste, das du morgens nach dem Aufstehen tust?
Álvaro: Das erste, was ich am Morgen mache, ich stehe auf und gehe erstmal pinkeln. Ich glaube, das macht wohl jeder. Das ist fundamental.
Mike: Was ist das letzte, das du abends vor dem Einschlafen tust?
Álvaro: Und am Abend genau das gleiche. Ich gehe noch mal pinkeln [lacht]. Niemand steht ja in der Nacht gerne auf, um erstmal pinkeln zu gehen. Also vor dem Schlafen gehe ich noch mal raus.
Mike: Was machst du, wenn es regnet?
Folgst du deinem Weg mit regendichter Ausrüstung oder machst du dir einen schönen Tag im Zelt, bis die Schlechtwetterfront vorüber gezogen ist?
Álvaro: Wenn es regnet, gut, normalerweise trete ich weiter in die Pedalen. Ich habe einen Regenponcho, der hat mir schon aus vielen Bedrängnissen geholfen. Ich habe wasserdichte Hosen, die kaufte ich mir in Neuseeland 2011. Mittlerweile sind sie nicht mehr komplett wasserdicht, aber gut, – ich fahre auch bei Regen. Auch wenn es regnet, halte ich ziemlich gut durch.
Mike: Wirst du dir irgendwann ein Nest bauen?
Möchtest du irgendwann sesshaft werden, mit Frau und Kindern und Garten? Oder bist du Nomade par excellence und gibt es keinen Weg zurück „in ein normales Leben“?
Álvaro: Ja, auf dem Fahrrad lernst du in der Gegenwart zu leben und weniger Pläne zu machen. Denn das Leben hat am Ende sowieso andere Pläne für dich. Du sagst dir z.B., jetzt fahre ich in dieses oder jenes Land – und dann auf einmal geht das Fahrrad kaputt. Und dann kommst du nirgendwo hin.
Also das mit dem Frau haben und Kinder kriegen und ein normales Leben führen, hängt ja nicht nur von mir ab. Es liegt auch am Schicksal, wem ich begegne, wer mir begegnet und auf die Lust, die ich darauf habe.
Es ist nicht in meinen Plänen, es ist aber auch nicht außerhalb. Das sind Sachen im Leben, die können passieren. Was ich auf jeden Fall nicht verlieren möchte, ist diese Form, die Welt jetzt in der Gegenwart zu sehen. Das möchte ich nicht aufgeben.
Mike: Gibt es einen besonderen Ort?
Hast du auf deinen Reisen ein Land oder einen Platz entdeckt, wo du sagst „Hier möchte ich bis zum Ende meiner Tage leben“? Oder wirst du nach deiner Rückkehr nach Spanien dieses Jahr hierbleiben?
Álvaro: Bisher habe ich keinen Ort gefunden zum Leben. Um dort zu bleiben. Spanien ist ein guter Platz. Du weißt das. Gutes Klima, gutes Essen. Und dort kann ich auch gut meine Bücher verkaufen. Schließlich sind sie auf Spanisch.
Mike: Weißt du schon, wo du nach deiner Rückkehr in Spanien leben wirst?
Álvaro: Möglicherweise bleibe ich in Spanien. Ich habe aber kein Haus. Und habe auch nichts, wohin ich zurückkehren könnte. Also, wenn ich zurückkomme, dann suche ich mir mein Leben. Ich weiß noch nicht, wo ich bleiben werde.
Mike: Deine Leidenschaft, als Clown aufzutreten.
Deine große Leidenschaft ist, „Lächeln in der Welt zu verbreiten“. Wenn du nach Spanien zurückkehrst, wird dem Rest der Welt deine Lebensfreude abhanden kommen. Möchtest du auch in Spanien weiterhin Aufführungen als Clown halten?
Álvaro: Also ich bin unzählige Male als Clown überall auf der Welt aufgetreten. Aber immer unter einem Kriterium: Das Kriterium, es gratis zu tun und zwar an einem Platz, wo ein Bedarf besteht.
Manchmal fragen mich Leute, warum trittst du nicht in dieser oder jener Schule als Clown auf. Dann sage ich, hier besteht kein Bedarf. Diese Jungs haben kein Problem. Ich will aber dazu beitragen, ein Problem zu lösen. Die ganze Welt lacht gerne. Aber ich behalte lieber meine Witze für Flüchtlinge, ein Waisenhaus, keine Ahnung.
Wenn ich nach Spanien zurückkehre, kann es gut sein, dass ich auch da als Clown auftrete. Vielleicht muss ich es hier sogar für Geld tun. Hier gibt es nicht so viel Bedarf. Es gibt nicht so viele Waisenhäuser in Spanien [lacht]. Aber ich stelle mir vor, dass ich in Spanien wieder auf der Straße als Clown auftreten werde.
Auf der Straße lernte ich viele Sachen. Und die Straße ist sehr interessant. Das ist der Ort, wo ich so viele Jahre lebte, die Straße. Und mein Clown glaube ich, gehört auf die Straße.
Mike: Was wirst du tun, wenn du nach 13 Jahren zurück in Spanien bist?
Ich hörte, dass du seit deinem Aufbruch vor 13 Jahren keinen spanischen Boden betreten hast. Was wirst du tun, wenn du wieder hier bist?
Álvaro: Wie ich bereits sagte, ich weiß noch nicht genau, wo ich mich in Spanien niederlassen werde.
Ach ja, das Datum meiner Rückkehr sagte ich dir bereits. Der 19 November diesen Jahres. Aber normalerweise sage ich es niemandem. Warum? Weil ich für dieses Jahr (2017) einen Kalender veröffentlichte, mit Fotos und Texten von meinen Reisen. Diese Woche wird der Kalender sogar verschenkt. Wer meinen Dokumentarfilm „A la velocidad de las mariposas“ kauft, bekommt den Kalender dazu geschenkt [gibts auf der Seite von Biciclown.com].
Ich animiere die Leute, dass sie diesen Kalender kaufen. Denn im Kalender ist das Datum meiner Rückkehr eingetragen. Also eigentlich ist es ein Geheimnis. Und wer Interesse hat, der kauft den Kalender. Er kostet nur 7 Euro und diese Woche wird er sogar verschenkt. Es ist also keine Frage des Geldverdienens. Sondern vielmehr – ok in Spanien haben wir diesen Ausspruch „Wer Fische will, der muss sich den Arsch nass machen“ – also wer wirklich interessiert ist an meinem Rückkehrdatum, der kauft sich einen Kalender und da steht es dann drin.
Heute hat jeder Internet und alles ist sehr einfach. Du drückst einen Knopf und schon hast du alle Informationen, die du willst. Manchmal ist es aber gut, es ist nicht so einfach, etwas zu erfahren. Das ist wie mit dem Fahrradfahren. Es ist nicht einfach, mit dem Fahrrad den Berg hochzufahren. Man könnte auch den Bus nehmen. Der Reiz liegt aber gerade darin, sich anzustrengen, um aus eigener Kraft den Berg hinaufzustrampeln. So ungefähr verhält es sich auch mit meinem Rückkehrdatum [lacht].
Mike: Bereitest du etwas für uns vor?
Wirst du nach deiner Rückkehr Video- und Fotovorträge über deine Abenteuer halten? In verschieden spanischen Städten? Wird Málaga auch dabeisein?
Álvaro: Also, zu meiner Rückkehr nach Spanien. Ich bekomme Anfragen für Auftritte.Und ich bin gerade dabei, es zu koordinieren, dass diese Angebote mit meiner Einreise in Spanien zusammenfallen. Also, ich fahre nicht durch Andorra durch und dann schnurstracks weiter bis Oviedo.
In Andorra habe ich bereits 2 Auftritte. In Barcelona habe ich bereits 2 Auftritte. Möglich, dass ich einen oder mehrere Auftritte in Valencia habe. In Portugal auch. Meine Rückkehr ist wie eine Tour durch Spanien, wo ich Auftritte gebe, bevor ich nach Oviedo gelange. Sogar so ein bisschen wie der Flötenspieler von Hameln, der die Ratten aus der Stadt hinter sich herzog. [lacht] Im Gegensatz zum Rattenfänger von Hameln kommen in meinem Fall Radfahrer, die mit mir gemeinsam die letzten Kilometer durch Spanien fahren.
Hierfür kommt extra ein Freund aus Brasilien, den ich ganz am Anfang auf meiner Reise 2002 kennenlernte. Er kommt aus Brasilien mit dem Fahrrad, um mich zu begleiten. Ich kenne bereits einige Freunde, die mich begleiten wollen. Sogar einer aus Hawai. Unterwegs halten wir an und ich gebe Auftritte. Und die Leute in ganz Spanien werden langsam darauf aufmerksam, dass ich nun wirklich komme. Und es werden dann sicher noch mehr Radfahrer kommen, die mich begleiten werden.
Wenn in Málaga eine Möglichkeit entsteht, einen Vortrag zu halten, dann sind wir in Kontakt. Manche Leute haben auch Interesse, aber es wird dann nicht konkret. Ich weiß, dass es nicht so einfach ist, ein Lokal zu finden. Ich verlange nicht viel Entlohnung. Es ist weniger eine Frage des Geldes. Aber gut, es muss auch erstmal organisiert werden.
Auf jeden Fall muss ich einen Kalender anlegen, damit ich es zeitlich auch schaffe, zu den Terminen rechtzeitig vor Ort zu sein. Ab September werde ich damit anfangen, mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Und die genauen Zeitpunkte festzulegen. Momentan interessiert es mich noch nicht so sehr. Es ist noch genügend Zeit. Morgen fahre ich nach Montenegro. Also denke ich heute noch nicht an Spanien.
Weiterführende Links zu Weltumradler Álvaro Neil alias Biciclown
Besucht Álvaro auf seiner Website und auf seinen Social Media Kanälen, unterstützt ihn bei seinem Projekt Biciclown+ oder begleitet ihn diesen Herbst mit dem eigenen Rad auf seiner Rückkehr nach Spanien.